Allgemein Textschnipsel

Halloween-Kurzgeschichte 2/4

29. Oktober 2020

 

… Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in ihm aus. Nervös fuhr er sich durch die Haare. Er hatte doch nicht etwa Angst? Wovor denn? Herr von Isenborth zwang sich zu einem Lächeln.

Wahrscheinlich war dem alten Schlossverwalter beim Renovieren ein Eimer Farbe umgefallen. Kein Grund zur Sorge also. Seine Sinne spielten ihm einfach einen Streich. Das lag bestimmt an der langen Autofahrt und an all den Erinnerungen, die in ihm hochkamen. Mehr nicht.

Und das Geräusch? An irgendetwas hatte es ihn erinnert … Er wusste nur nicht, an was. Sicher ein Marder …

Das laute Grummeln seines Magens riss ihn aus seinen Gedanken. Er lachte. Das musste es sein. Wer konnte auch schon klar denken, wenn er Hunger hatte? Der Schlossverwalter hatte ihm bestimmt Vorräte hinterlassen.

 

***

 

In der Küche wartete ein fein säuberlich hergerichtetes Silbertablett auf ihn. Der Verwalter war eben doch immer wieder für eine Überraschung gut. Hungrig machte Herr von Isenborth sich über Brot, Wurst und Portwein her. Während er aß, musste er daran denken, wie er als kleiner Junge das Personal regelmäßig in den Wahnsinn getrieben hatte. Er hatte sich in der Küche immer nur springend fortbewegt, von einer der hellen Fließen zur nächsten, tunlichst darauf bedacht, ja nicht eine der schwarzen zu berühren.

Die große Standuhr in der Eingangshalle schlug zur vollen Stunde. Herr von Isenborth fuhr erschrocken zusammen. Im letzten Moment fing er die Flasche Portwein auf, die er um Haaresbreite vom Tablett gestoßen hätte.

Klack … klack … klack …

Das war doch nicht möglich! Das konnte kein Marder sein! Hier wollte ihn jemand für dumm verkaufen! Er hatte die Nase endgültig voll. Er würde den Eindringling stellen und wenn er das ganze Anwesen nach ihm absuchen musste!

Entschlossen griff er sich das Kochmesser aus dem Messerblock und marschierte die Personaltreppe hoch in die zweite Etage. Er holte sein Handy aus der Tasche, um die Polizei zu informieren.

„Mist! Verfluchter!“

Er hatte keinen Empfang. Dann würde er sich eben allein um den Eindringling kümmern müssen, dachte er mürrisch. Die Dorfpolizei war ohnehin der reinste Narrenverein.

So geräuschlos wie möglich schlich er die Stufen hinauf. Draußen war es dunkel geworden. Das einzige Licht kam vom vollen Mond, der bleich durch die dichte Nebelwand hindurchschimmerte.

Herr von Isenborth legte den Lichtschalter im Flur um. Flackernd erwachten die Wandleuchter zum Leben. Das Messer im Anschlag ging er von Raum zu Raum. Die in Stoff gehüllten Möbel verliehen den Zimmern eine gespenstische Wirkung. Doch von dem Eindringling war keine Spur. Ihn fröstelte.

Vor dem Raum, der sich über seinem alten Kinderzimmer befinden musste, hielt Herr von Isenborth inne. Sein Herz hämmerte hart gegen seine Brust. Sollte er die Tür langsam aufmachen oder doch lieber schnell?

Den Türknauf in der verschwitzten Hand, das erhobene Messer in der anderen, drückte er die Tür langsam knarrend auf. Tiefe Dunkelheit begrüßte ihn.

Das Frösteln, das er bisher gespürt hatte, nahm an Stärke zu. Er konnte es nicht richtig erklären. Ihm war nicht kalt, zumindest nicht äußerlich. Die Kälte kam von innen wie bei hohem Fieber, hielt seinen Körper in ihren eisigen Klauen gefangen.

„Hallo?“, krächzte er und verdrehte die Augen, als niemand antwortete. Was hatte er auch erwartet? Würde er jemandem antworten, der ein Küchenmesser auf ihn richtete?!

„Wenn Sie sich jetzt stellen, werde ich Ihnen nichts tun!“

Stille. Blind tastete er nach dem Lichtschalter.

Er konnte den Aufschrei nicht unterdrücken. Sein Herz setzte einen Schlag aus. Keuchend rang er nach Luft. Herr von Isenborth hielt sich am Türrahmen fast, um nicht rückwärts aus dem Raum zu taumeln …

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