Allgemein Textschnipsel

Halloween-Kurgeschichte 3/4

30. Oktober 2020

 

… Ein großer, ausgestopfter Bär, die Zähne gefährlich gebleckt, funkelte ihn kampflustig an. Herr von Isenborth lachte schrill auf. Idiot, dachte er. Bis auf das Ungetüm, dem das Tuch vom Kopf gerutscht sein musste, und den unzähligen anderen Jagdtrophäen war der Raum leer.

Aber wenn er schon einmal hier war, konnte er sich zumindest den Farbfleck näher ansehen, der bis zu seinem Zimmer durchgesickert war. Er rollte den schweren Teppich zur Seite.

Merkwürdig, da war kein Fleck … Kein Fleck, kein nichts … Er schaute unter dem schweren Holztisch nach … nichts.

Wie war das nur möglich? Vielleicht hatte der Verwalter den Fleck hier oben schon beseitigen lassen. Ja, so musste es gewesen sein.

Ein sachter Windhauch ließ ihn herumfahren. Er hielt den Atem an. Eiseskälte breitete sich in seinem Inneren aus, durchdrang jede Zelle seines Körpers. Eine solch schneidende Kälte hatte er nie zuvor gespürt.

Nur mit Mühe konnte er einen Schrei unterdrücken, als ihm wie aus dem Nichts ein Bild in den Sinn kam: eine junge Frau, das weiße Nachthemd und die Hände voller Blut. Tränen liefen ihr die Wangen hinab. In ihren Augen stand Schmerz geschrieben, pure Verzweiflung.

Herr von Isenborth war dieser Frau nie begegnet und doch fühlte sie sich so vertraut an. Eine Erinnerung, die nicht die seine war. Aber wie um alles in der Welt war sie dann in seinen Kopf gelangt?

Klack … Klack … Klack …

„Jetzt reicht es aber!“, schrie er zur Decke hinauf. Doch seine Stimme war lang nicht mehr so fest.

Sein Mund war ausgetrocknet. Er konnte die Angst nicht länger unterdrücken. Mit einem Mal wusste er, an was ihn das Geräusch erinnerte. Er kannte das Klacken aus seiner Kindheit, wenn der Schlossverwalter mit seinem alten Gehstock durch die Flure geschlichen war. Der Drang, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden, drohte ihn zu übermannen.

Vollkommen lächerlich! Er würde sich von diesem kindischen Unsinn nicht aus seinem eigenen Schloss vertreiben lassen. Er musste diesen Eindringling schnappen, bevor er noch Schaden anrichten konnte.

Das Geräusch war aus der Etage über ihm gekommen, aus der Etage, in dem sich das Arbeitszimmer und das Schlafgemach seines Vaters befanden. Das Messer erhoben, rannte er auf den Flur in Richtung Treppe.

Ein markerschütternder Knall ertönte. Schlagartig war alles dunkel. Stockdunkel. Panisch drückte sich Herr von Isenborth an die Wand. Sein Herz wollte ihm aus der Brust herausspringen. Er bekam kaum noch Luft. Um ihn herum drehte sich alles.

Ruhig, ganz ruhig, versuchte er, sich zu beruhigen. Die Sicherung, das war nur die Sicherung.

Er betätigte den nächsten Lichtschalter. Nichts. Der Strom war tot. Verdammtes Schloss! Schon längst hätte man hier die veralteten Sicherungen austauschen müssen.

Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit. Der Vollmond schien fahl zum Fenster hinein und ließ winzige Staubpartikel tanzen. Vorsichtig trat er zu einem kleinen Schränkchen, von dem er wusste, dass dort früher Kerzen aufbewahrt worden waren.

Unter lautem Quietschen öffnete er die Türen. Er fand nicht nur die Kerzen, sondern auch einen dreiarmigen Leuchter sowie Streichhölzer.

Im flackernden Schein der Flammen huschten Schatten an ihm vorbei. Die Blicke seiner Ahnen auf den Gemälden schienen ihm förmlich zu folgen. Großartig, das hatte ihm zu seinem Glück gerade noch gefehlt.

Klack … klack … klack …

Kalter Schweiß lief ihm den Rücken zwischen den Schulterblättern hinab. Sollte er doch besser umkehren und die Polizei rufen? …

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